Am 13. Juli 1945
kamen wir über Ludwigslust in dem Dorf Leussow an.
Nach 16 Tagen völligen Hungerns erhielten wir hier
Lebensmittel und auch Medikamente vom Roten Kreuz.
In Leussow wußten die Mensche noch nichts von
Vertriebenen. Niemand wollte uns aufnehmen. Eine
Woche lang blieben wir im Gasthaussaal untergebracht
und mußten am Fußboden schlafen.
Meine Mutter arbeitete dann bei einem Bauern und so
konnten wir dort in ein möbliertes Zimmer einziehen.
Wir bekamen eine Kochgelegenheit, Geschirr und
Lebensmittel von der Bäuerin. Es waren sehr gute
Leute. Später wurden sie zwecks Bodenreform
enteignet. Die ganze Familie verließ ihren Bauernhof
und zog nach Hamburg.
Was geschah aber mit den Blumenauern, die noch zu
Hause bleiben konnten? Die meisten mußten ihre
Häuser verlassen. Es kamen Tschechen ins Dorf. Sie
suchten sich die Bauernhöfe und Häuser aus, die
ihnen gefielen und die Deutschen mußten ab sofort
als Knechte und Mägde für sie arbeiten. Viele
Blumenauer mußten auch in anderen Dörfern bei
Tschechen arbeiten. Manche wurden in tschechische
Arbeitslager bei Iglau verschleppt und mußten dort
vegetieren bis zur Aussiedlung.
Nach dem Potsdamer Abkommen im August 1945 wurde die
Vertreibung fortgesetzt. Immer wieder wurden
Transporte zusammengestellt und in Viehwaggons in
die russische Besatzungszone abgeschoben. Nun durfte
jede Person bis zu 50 kg Gepäck mitnehmen.
Allerdings war das meiste Wertvolle und Schöne schon
von den Tschechen geraubt worden und unterwegs
wurden viele nochmals ausgeplündert. So wurden 1945
und 1946 immer wieder kleinere u. größere Gruppen
Blumenauer mit Transporten aus Nachbargemeinden aus
ihrer Heimat vertrieben. Erst im Jahr 1946 gingen
auch Transporte nach Westdeutschland.
Die 55 Blumenauer, die im November 1946 nach
Hilsbach bei Aurach kamen, waren die letzten
Einwohner Blumenaus. In einem Dorf, das
ausschließlich von Deutschen bewohnt gewesen war,
blieben eine Familie (Mann als Dolmetscher, Tochter
Elsa heiratete einen Tschechen) und die Besitzerin
des Erbgerichts in Blumenau zurück. Letztere
heiratete auch einen Tschechen und dachte, sie
könnte auf ihrem Anwesen bleiben. Sie mußte später
als Magd im Nachbardorf arbeiten. Durch die
Benesch-Dekrete waren alle Deutschen entrechtet und
enteignet worden. Am 8. Mai 1946 wurde das
Amnestiegesetz erlassen, das bis heute gültig ist,
durch das nachträglich alle Verbrechen der Tschechen
an den Deutschen für straffrei erklärt wurden.
Ab dem 26. Juni 1945 war die Ortsgemeinde
Blumenau zerrissen und zerstört für immer. Über
das Durchgangslager Furth im Wald kamen die
letzten 55 Blumenauer zunächst nach Feuchtwangen.
Sie waren dem Landkreis zugeteilt worden. Von dort
holte sie Alois Hufnagel, der Ortsvorsteher von
Hilsbach, mit einem Pferdefuhrwerk ab.
Fast jeder Bauer mußte auf Anordnung des
Landratsamtes eine Familie aufnehmen und ein
Zimmer zur Verfügung stellen. Vier- bis
sechskopfige Familien lebten teilweise jahrelang
in einem Raum. Die meisten arbeiteten als Knechte
und Mägde bei den Bauem in Hilsbach, bis sie
andere Arbeitsstellen fanden.
Die ersten Jahre in der Fremde waren wohl für
diese entwurzelten, entrechteten Heimatlosen
besonders schwer. Viele wechselten oft ihren
Wohnort, zogen weiter um Arbeit zu finden. Die
meisten mußten einen neuen Beruf erlernen und
ausüben. Aus selbständigen Bauern und Bäuerinnen
wurden Knechte und Mägde, Hilfs- und
Facharbeiter/innen. Blumenau war ein rein
landwirtschaftlich geprägtes Dorf gewesen.
So nach und nach zogen viele Blumenauer aus
Mitteldeutschland nach Westdeutschland. Im Jahr
1947 zogen auch meine Mutter mit 3 Kindern nach
Hilsbach, da mein Vater nach Entlassung aus der
Gefangenschaft mit den letzten Blumenauern dorthin
gekommen war.
Ca. 200 Blumenauer blieben in Mitteldeutschland
und konnten nach dem Mauerbau nicht mehr in den
Westen. Bis nach 1950 hofften die Blumenauer und
viele andere Vertriebene, wieder in die geliebte
Heimat zurückkehren zu können. Doch das war nicht
mehr möglich.
Nachdem die meisten Vertriebenen beruflich etwas
abgesichert waren, fingen viele an, sich wieder
ein eigenes Heim zu schaffen. So auch die
Blumenauer in Hilsbach. Sie zogen teils nach
Aurach, teils in Nachbargemeinden und errichteten
sich Eigenheime. Mit der Zeit konnte man sich vor
allem brieflich untereinander verständigen und
sich auch besuchen. Nach Hilsbach/Aurach kamen
zahlenmäßig die meisten vertriebenen Blumenauer an
einen Ort. Sonst waren die Familien in über 200
Orten in ganz Deutschland und Österreich
zerstreut. Meist nur wenige in einer Stadt oder
einem Dorf.
Der 1. Ortsbetreuer der Blumenauer war mein Vater
Franz Klimesch. Er wohnte in Aurach und arbeitete
unaufhörlich daran, bis er alle Blumenauer in
einem Anschriftenverzeichnis erfaßt hatte. So
gelang es untereinander in Verbindung zu bleiben.
Bereits ab 1953 konnte mit der monatlichen
Berichtcrstattung über die Blumenauer durch den
letzten Schulleiter von Blumenau, Lm. Adolf
Karger, in der ,,Schönhengster Heimatzeitung"
begonnen werden, was dazu beitrug, das Band der
zerrissenen Dorfgemeinschaft zu festigen. Auch die
Rundbriefe von Pfarrer Rudolf Klimesch (ein
gebürtiger Blumenauer) und des jetzigen
Ortsberichterstatters Leopold Wala stärkten das
Zusammengehörigkeitsgefühl der Blumenauer.
Die Gemeinde Aurach wurde für die Blumenauer zum
meistbesuchtesten Ort, um Verwandte, alte Nachbarn
und Schulfreunde zu treffen. Bereits 1949 kam eine
größere Anzahl Blumenauer in Hilsbach zusammen.

Blumenauer in
Hilsbach
Durch die Initiative der Blumenauer Franz Klimesch
(Ortsbetreuer) und Leopold Wala
(Ortsberichterstatter) fand am 30. April 1967 das l.
offizielle Blumenauer Treffen in Aurach statt. Das
war ein voller Erfolg. Über 200 Besucher kamen.
Viele sahen sich nach der Vertreibung das erste Mal.
Die Freude war groß und man beschloß, sich alle 4
Jahre in Aurach zu treffen. Dies wurde auch
eingehalten und ab 1979 war Aurach sogar alle zwei
Jahre der Treffpunkt für ein Wiedersehen. Bei jedem
Treffen fand ein Festgottesdienst mit der
Schubert-Messe in der Auracher Pfarrkirche,
zelebriert von Pfarrer Rudolf Klimesch, und ein
anschließendes Totengedenken statt.
Besonders erwähnenswert ist auch die Herausgabe des
Blumenauer Heimatbuches im Jahre 1981, welches die
Brüder Franz und Leopold Wala in Zusammenarbeit mit
mir in Eigenregie erstellten. Viele Jahre Arbeit
stecken darin. Frarz Wala hat auch die in der
Heimatstube ausliegenden Ortspläne von Blumenau und
Zeichnungen der haus- und landwirtschaftlichen
Geräte angefertigt.
Mit Schreiben vom 25.10.1983 stellten die Blumenauer
bei der Gemeinde Aurach den Antrag auf Übernahme
einer Patenschaft. Beim 7. Heimattreffen am 15. u.
16. Juni 1985 erfolgte dann die offizielle Übernahme
der Patenschaft durch die Gemeinde Aurach für die
Blumenauer. Gleichzeitig konnten die Blumenauer in
der Anlage bei der Kirche in Aurach einen
Gedenkstein für ihre Verstorbenen, Gefallenen und
Opfer der Vertreibung aufstellen und weihen lassen.
Bei diesem Treffen wurde auch der Festplatz in
Aurach in ,,Blumenauer Platz" umbenannt. Erstmals
wurde auch eine Ausstellung ,,Blumenau ein Dorf im
Schonhengstgau" gezeigt.
Ein besonderer Höhepunkt bei diesem Treffen war
der großartige Festzug durch Aurach. Alle Vereine
der Gemeinde Aurach beteiligten sich daran und
boten ihr Bestes.
Großen Beifall fand die Schönhengster
Trachtengruppe und vorallem die neu gegründete
Auracher Trachtengruppe in Originaltraclttert.
Beim 8. Treffen am 1. und 2. Mai 1987 wurden
Patenschafts-Ortsschilder enthüllt und am Ortsrand
von Aurach aufgestellt. Die Schönhengster- und
Auracher Trachtengruppen umrahmten diese Feier.
Bei allen folgenden Treffen waren
dieTrachtengruppen eine Bereicherung der
Heimattage. Beim 9. Blumenauer Treffen am 16. und
17. Juni 1989 gratulierten die Blumenauer Pfarrer
Klimesch zum 50-jährigen Priesterjubilaum. Er war
im Jahr 1939 im Dom zu Leitmeritz zum Priester
geweiht worden und feierte danach in Blumenau
seine Primiz.
Zum 10. Treffen am 15. und 16. Juni 1991 konnten
erstmals auch jüngere Blumenauer aus den neuen
Bundesländern nach der Wiedervereinigung
Deutschlands im Jahr 1989 nach Aurach kommen.
Leider haben es die meisten älteren Blumenauer
nicht mehr erlebt, sich wieder zu sehen. Bei der
Patenschaftsübernahme wurde den Blumenauern von
der Gemeinde Aurach versprochen, ihnen einen
geeigneten Raum als Heimatstube zur Verfügung zu
stellen, um darin ihr gerettetes Kulturgut
aufzubewahren und somit der Nachwelt zu erhalten.
Immer wieder wurden die Blumenauer bei der
Gemeinde vorstellig. Endlich konnte im Jahr 1993
der Ausbau des Dachgeschosses der Gemeindescheune
begonnen werden. Hierbei ist besonders zu
erwähnen, daß Herr Ottomar Edel als l.
Vorsitzender des Auracher Gartenbau- und
Heimatpflegevereins sich der Sache annahm. Er war
über zwei Jahre lang der Motor und Koordinator für
alle Arbeiten und Entscheidungen beim Ausbau und
der Einrichtung des Museums. Die Blumenauer und
Auracher sind ihm zu großen Dank verpflichtet.
Inzwischen war in besagtem Verein die
Bereitschaft gereift, auch für Aurach ein kleines
fränkisches Heimatmuseum einzurichten. Die
Gemeinde übernahm die Materialkosten. Alle
Ausbauarbeiten wurden unentgeltlich von vielen
Auracher und Blumenauer Helfern und Helferinnen
geleistet. Ebenso die Einrichtungsarbeiten.
Rechtzeitig zum 10-jährigen Bestehen der
Patenschaft und der Heimatpflegegruppe (diese
wurde vom 1. Vors. Edel im Jahr 1985 zusammen mit
der Trachtengruppe gegründet und im Gartenbau- und
Heimatpflegeverein Aurach e.V. integriert) konnte
die Ausstattung des Auracher Heimatmuseums mit
Blumenauer Heimatstube abgeschlossen werden. Für
die Einrichtung des Auracher Bereiches war die
Heimatpflegegruppe unter Leitung von Frau Anni
Rieber zuständig. Die Blumenauer Heimatstube wurde
hauptsächlich von Leopold Wala und Hildegard Edel
gestaltet.
Beim 12. Treffen am 1. und 2. Juli 1995 wurde
das Museum eingeweiht und eröffhet. Es wurde ein
Kleinod geschaffen, das nicht nur heute sondern
auch den künftigen Generationen einen Einblick in
das frühere Dorfleben in Aurach und Blumenau
vermittelt.
Inzwischen erfreut es sich immer größerer
Beliebtheit und es kommen sehr viele Besucher.
Wir Blumenauer haben mit Aurach als Patenort eine
gute Wahl getroffen. Hier fühlen wir uns wohl und
heimisch. Dem verstorbenen Bgm. Karl-Heinz
Hillmann, dem jetzigen Bgm. Klaus Köhle, dem
Gemeinderat, den Pfarrern und allen Bürgern und
Bürgerinnen der Gemeinde Aurach danken die
Blumenauer für das bisherige Verständnis,
Entgegenkommen und die Unterstützung.
Ebenso dankbar sind die Blumenauer ihrem
verstorbenen 1. Ortsbetreuer Franz Klimesch und
jetzigen Ortsbetreuer und Ortsberichterstatter für
die ,,Schönhengster Heimatzeitung" Leopold Wala,
der alle Heimattreffen bis jetzt vorbereitete und
organisierte.
Vor allem sammelte er jahrelang Urkunden,
Schriften, Bildmaterial, Fotografien, Bücher,
Kleidungs- und Wäschestücke, Geschirr und sonstige
Gegenstände für die Heimatstube. Ohne dessen
unermüdliche Arbeit wäre für die Heimatgemeinde
Blumenau nicht so viel erreicht worden.
Nicht zu vergessen sind auch die vielen
Blumenauer, die jahrelang durch Geldspenden alle
diese Aktivitäten und Einrichtungen ermöglichten.
Herzlichen Dank!
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl sagte in seiner
Festrede zum Tag der Heimat in Braunschweig 1984:
,,Wir alle sind aufgerufen, an der Bewahrung des
kulturellen Erbes der Vertriebenen und Flüchtlinge
mitzuwirken. Es ist Teil des geistigkulturellen
Reichturns der Deutschen". Trotz der
unmenschlichen Vertreibung haben die
Heimatvertriebenen bereits im Jahre 1950 die
,,Charta der Deutschen Heimatvertriebenen"
verabschiedet.
Darin verzichten feierlich Millionen Deutsche,
die man eben erst aus ihrer Heimat vertrieben hat,
auf Rache und Vergeltung. Sie gaben das
Versprechen, jedes Beginnen mit allen Kräften zu
unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten
Europas gerichtet ist - in dem die Völker ohne
Furcht und Zwang leben können......
Schon 1954 übernahm Bayern die Schirmherrschaft
über die Sudetendeutschen, denn allein 1,2
Millionen Sudetendeutsche wohnen im Freistaat
Bayern, haben durch Aufbauwillen und Tatkraft zum
Wiederaufbau des Landes beigetragen. Die
Schirmherrschaft gilt für alle Sudetendeutschen,
nicht nur für die in Bayern lebenden!
Am 12. u. 13. Juli 1997 findet in Aurach das 13.
Blumenauer Heimattreffen statt, unter dem Motto:
,,Bayern's vierter Stamm, die Sudetendeutschen".
Aurach, im Juli 1997
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